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Vor 20 Jahren... Borussias "Boygroup" schrieb am 9. Juni 2003 Geschichte

Ein Interview mit Michael Maze, Lars Hielscher, Bastian Steger, Zichao Tian und Trainer Andreas Preuß

„Boygroup holt den Meistertitel. Der Höhenflug der "jungen Wilden" von Borussia Düsseldorf hat den Gipfel im deutschen Tischtennis erreicht. Die Außenseiter gewannen gegen die hoch favorisierte Mannschaft des TTC Zugbrücke die Deutsche Mannschafts-Meisterschaft.“ Das war vor ziemlich genau 20 Jahren die Schlagzeile und treffende Umschreibung für den wohl überraschendsten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Michael Maze, Magnus Molin, Lars Hielscher, Bastian Steger, Zichao Tian und Christian Süß trugen damals das Borussia-Trikot. Die Mannschaft war im Durchschnitt gerade einmal 22 Jahre alt.

Vier von ihnen, Maze, Hielscher, Steger und Tian, lassen uns gemeinsam mit dem damaligen Trainer Andreas Preuß noch einmal an ihrer unglaublichen Reise vom Tabellenschlusslicht zum Deutschen Meister 2003 teilhaben.

Welche Erinnerungen werden in euch wach, wenn ihr an die Meister-Saison vor 20 Jahren zurückdenkt?

 

Steger: Ich bin ehrlich gesagt schockiert, diese Zahl zu hören! 20 Jahre ist das her? Also gefühlt liegt das noch nicht so lang zurück. Wir hatten viel Spaß zusammen, haben uns echt gut verstanden. Aber wir haben auch wirklich viel und gut trainiert. Es war eine richtig coole Zeit.
Maze: Ich erinnere mich noch, dass wir einen unglaublichen Teamspirit hatten. Wir waren alle noch sehr junge Spieler und irgendwie wirklich eine Boygroup. Wir haben hart gekämpft und daran geglaubt, dass wir jeden besiegen können.
Tian: Ja, alles schien möglich zu sein.
Preuß: Ihr wart eine eingeschworene Truppe, wirklich eine Boygroup. Es war vielleicht der bedeutsamste Titel der Borussia. In Zeiten des vollkommenen Umbruchs. Der Hauptsponsor war weg, die Spieler, mit denen wir die Champions League und zig andere Titel gewonnen hatten, waren weg. Wir hatten weniger Geld, ich war Trainer und Manager in Doppelfunktion. Und wir bauten eine Mannschaft aus jungen, günstigen Spielern auf, die meiner Meinung nach eine hervorragende Perspektive hatten.
Hielscher: Ganz ehrlich, es war schon eine Überraschung, dass wir den Titel gewonnen haben. Es gab einige Ups and Downs. Wir hatten viel Spaß und sind gemeinsam um die Häuser gezogen. Manchmal musste uns Andreas aber schon ne Ansage machen, aber wir haben uns alle, wirklich alle zerrissen für die Mannschaft. Und manchmal sind auch aus heutiger Sicht lustige Dinge passiert. Da war doch noch irgendetwas mit Michaels Schläger vorm Finale… Der war weg, oder?
Steger: Ja, genau. Am Abend vor dem ersten Finale wollte ich gerade ins Bett gehen, da klingelt mein Handy und Maze ist dran. Da fragt der mich ernsthaft, ob ich seinen Schläger habe!  Er hat ihn wohl nach dem Training in der Halle liegen lassen und hat das abends erst gemerkt als er die Beläge neu kleben wollte. Auch der Ersatz- und Drittschläger waren in der gleichen Hülle. Auf jeden Fall hat er sich nicht getraut, den Preuß anzurufen. Aber das musste er natürlich machen.
Preuß: Ich dachte, der ist verrückt geworden als ich noch so spät den Anruf bekam. Und dann habe ich mich quasi nachts noch drum gekümmert, dass er von Butterfly ein neues Holz und neue Beläge kriegt.
Maze: Ja, manchmal hast du mich wirklich gehasst, oder? Aber zum Glück auch manchmal geliebt! (lacht)

Vor einer Wahnsinnskulisse mit 1.700 Zuschauern in Düsseldorf habt ihr das erste Finale gegen den absoluten Top-Favoriten Grenzau mit 4:6 verloren. Ihr musstet das Rückspiel auswärts mindestens mit 6:3 gewinnen. Ganz ehrlich, habt ihr daran geglaubt, die Sensation schaffen zu können?

Maze: Wir waren natürlich traurig, da wir wussten, dass es wichtig ist, zu Hause zu gewinnen. Aber andererseits waren wir auch einfach guter Dinge und ein Finale zu spielen ist immer was Besonderes.
Tian: Ich habe versucht, gar nicht darüber nachzudenken, sondern einfach nur gut zu spielen.
Hielscher: Grenzau war die ganze Saison so überlegen, hatte fast unschlagbare Stars wie Ma Wenge, Korbel, Chen Zhibin. Wir hatten nichts zu verlieren. Tja, ich habe trotzdem beide Spiele verloren, ich war ausgelaugt und habe zu leicht die Spiele abgegeben. Im Rückspiel war ich nur noch im Doppel dabei. Und ich weiß noch, wie Andreas im Fernsehinterview danach gesagt hat: „Wir haben jetzt gerade viereinhalb Stunden gekämpft und knapp verloren. In einer Woche spielen wir in Grenzau und werden wieder genauso kämpfen und gucken, was dabei rauskommt.“
Steger: Den Druck hatte Grenzau. Das Hinspiel war nicht so deutlich, wie alle erwartet hatten und im Rückspiel mussten sie liefern. Das hat man ihnen schon angemerkt, sie waren etwas nervös. Wir konnten da entspannter an den Tisch gehen.

Das Rückspiel war dann auch extrem spannend: 9. Juni, Zugbrückenhalle in Grenzau. Nach den Doppeln stand es 1:1, dann haben Maze und Molin die Borussia mit 3:1 in Führung gebracht, die Tür ging ein Stück auf. Süß verlor, Steger und Maze gewannen: 5:2. Plötzlich war alles möglich. Molin unterlag und es stand 5:3, das nächste Spiel zwischen Bastian Steger und Chen Zhibin sollte alles entscheiden. Es kam wirklich zum Showdown. Was ging da in dir vor, Basti? 

Steger: Ich wollte einfach nur alles geben und dachte, wenn es nicht klappt, dann haben wir trotzdem viel erreicht. Aber es hat ja geklappt. 
Tian: Also wir waren schon alle sehr aufregt als Zuschauer.
Maze: Oh, ja! Aber es war ein großartiges Match. Basti hat unglaublich gespielt!
Hielscher: Bei diesem Spielstand dachte ich schon, dass da auch schon mal ein Chen Zhibin wackeln kann. Ich glaubte, dass Basti das schaffen kann. Er hat eine tolle Ballonabwehr gespielt und hat so ein paar wichtige Punkte geholt. Manchmal hat er acht / neun Bälle zurückgebracht bis Zhibin dann nicht mehr traf. Es war ein mitreißendes Spiel.
Preuß: Beim Matchball hatte Zhibin Aufschlag und da hatte Basti in der Vergangenheit immer mal wieder Probleme. Ich weiß nicht mehr, ob ich es ihm gesagt habe, aber er zog den Ball dann an und war so drin im Spiel. Zhibin musste blocken…
Steger: Dann habe ich, glaube ich, erst eine Rückhand gespielt, sie danach umlaufen und den Ball konnte Zhibin nicht mehr richtig zurückspielen. Und dann waren auch schon alle da und ich lag unter allen am Boden. Das ganze Team lag auf mir!

Und dann sind alle Dämme gebrochen? Habt ihr die ganze Nacht durchgefeiert?

Steger: Na, klar. Aber es war alles ganz spontan, wir hatten natürlich nichts vorbereitet und geplant – genau wie unser Sieg. Aber das sind ja bekanntlich die besten Feiern.
Tian: Wir tranken Bier aus dem Pokal.
Maze: Wir waren wirklich die ganze Nacht in Düsseldorf unterwegs. Es war einfach crazy und spaßig. Ich erinnere mich aber nicht mehr an alles – oder will es vielleicht auch gar nicht.

Bereits das Halbfinale war schon etwas Besonderes: In Gönnern konntet ihr Roßkopf, Boll, Heister und Co ein Unentschieden abringen. Und dann folgt die Sternstunde mit einem 6:0 im Rückspiel. Eigentlich war das ja schon die Riesenüberraschung, oder?

Maze: Ja, es war eine große Überraschung als wir Gönnern besiegt haben. Insbesondere im Rückspiel. Da haben wir alle überragend gespielt. So ein Spiel und so ein 6:0 gibt es nur einmal im Leben.
Steger: Viel besser konnte es wirklich nicht laufen. Auch Gönnern war auf dem Papier klar besser als wir. Schon das Unentschieden im Hinspiel war eine Überraschung. Im Nachhinein gesehen, passt das aber alles perfekt zu dieser verrückten Saison.
Preuß: Das war unglaublich. Timo war eigentlich unschlagbar und die anderen auch alle top und wir gewinnen das Ding zu null. Ich weiß noch, dass die Leute nach dem Spiel nicht aufgehört haben zu klatschen. Draußen war schönstes Wetter, aber keiner ist gegangen.
Hielscher: Und uns hat dieses Ergebnis natürlich unglaublich viel Selbstvertrauen gegeben. Es war gut für die ganze Mannschaft, aber auch für jeden einzelnen. Molin hat gegen Boll gewonnen, Basti hat Roßkopf paniert. Das macht schon was mit einem.

Ihr ward damals eine neu zusammengestellte Mannschaft und mit 22 Jahren im Durchschnitt sehr jung. Was hattet ihr für Erwartungen in dieser Saison?

Maze: Borussia hatte eine neue Richtung eingeschlagen. Rossi und Vladi hatten den Verein verlassen, dann gab es uns, die jungen Wilden. Wir wollten schon etwas Besonderes schaffen, aber gleichzeitig wir hatten keinen großen Erwartungen für die Saison. Aber wir waren hungrig und das schafft besondere Momente.
Steger: Ich glaube, es wäre in Ordnung gewesen, wenn wir im Mittelfeld gespielt hätten. Das konnte man von uns, die alle noch am Anfang ihrer Karriere standen, erwarten. Aber wir hatten keinen guten Start und so stand der Traditionsverein plötzlich auf dem letzten Platz und der Abstieg drohte. Da gab es einige Krisensitzungen.
Preuß: Die waren auch nötig. Diese Mannschaft hatte Herz, Charakter und Seele. Ihr habt das auch ernst genommen, wenn wir gesprochen haben, alle haben an sich gearbeitet.
Hielscher: An diese Krisensitzungen muss ich manchmal immer noch denken. Andreas hat immer klare Worte gefunden und alles angesprochen. Das war nicht immer angenehm, aber hat ganz klar gefruchtet. Ich fand ihn als Trainer sehr, sehr gut. Er hatte immer das richtige Gespür, was die Mannschaft gerade braucht.

Am Anfang habt ihr, wie vielleicht erwartet, Lehrgeld bezahlt. Ward mit 2:8 Punkten sogar Tabellenletzter. Was ist das Geheimnis Eurer phänomenalen Aufholjagd?

Maze: Wir hatten Glück, dass die wichtigen und entscheidenden Spiele erst später kamen, als wir uns schon weiterentwickelt hatten und wir nicht mehr nur hungrig, sondern auch bereit waren.
Hielscher: Wir haben uns einfach in der Saison nach und nach gesteigert. Alle Jungen sind besser geworden: Maze, Steger, Süß.
Steger: Ich glaube, es war das Spiel gegen Plüderhausen. Wir lagen zur Pause 0:5 zurück und haben dann noch ein Unentschieden geschafft. Das war irgendwie der Startschuss für eine richtig gute Serie, die wir dann hingelegt haben.
Preuß: Ein wichtiges Kriterium war die Umstellung der Doppel. Am Anfang haben wir zwar viel ausprobiert, aber auch am Skandinavien-Team Maze/Molin festgehalten und wenn du schon immer mit einem Rückstand nach den Doppeln startest, ist es halt schwer. Aber dann hatten wir richtig gute Doppel mit Maze/Hielscher und Tian/Steger. Das machte sehr viel aus.
Tian: Wir haben die ganze Zeit an uns geglaubt. Und das hat sich ausgezahlt.
Preuß: Ein schönes Schlusswort!

Foto: Borussia Düsseldorf

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